Filminfo


Winterschläfer

Tom Tykwer ist ein grandioser Regisseur eines ganz von seinen Bildern und seinem Rhythmus lebenden Kinos. Er beherrscht das Handwerk perfekt und versteht es, es in einer Weise zu nutzen, die über alles handwerkliche hinausgeht. Nur kann diese im deutschen Kino der 90er Jahre einzigartige traumwandlerische Sicherheit im Umgang mit den filmischen Mitteln auch zu einem Problem werden, denn sie drängt alles andere leicht in den Hintergrund. Genau das ist bei Tykwers Debüt Die tödliche Maria und bei seinem geradezu überschwenglich aufgenommenen dritten Film Lola rennt passiert. In ihnen führt der Stil ein kaltes und letztlich selbstverliebtes Regiment. Nur bei Winterschläfer, dem dazwischen entstandenen und völlig zu Unrecht weitgehend übersehenen Film, ist Tom Tykwer visionärer Bilderschöpfer und passionierter, seine Figuren wirklich liebender Erzähler. Fünf Menschen, fünf Schicksale in einem kleinen, verschneiten Bergdorf und Skifahrer-Paradies. Der egomanische Skilehrer Marco (Heino Ferch), René (Ulrich Matthes), der Kinovorführer ohne Kurzzeitgedächtnis, die sinnliche Übersetzerin Rebecca (Floriane Daniel), die in sich verschlossene Krankenschwester Laura (Marie-Lou Sellem) und der innerlich genauso wie finanziell zerstörte Bauer Theo (Josef Bierbichler), ihre Wege kreuzen sich, neue Konstellationen entstehen und bringen Bewegung, aber auch Zerstörung in eine im wahrsten Sinne eingefrorene Welt. Dabei wird ein Autounfall und eine eher unbewusste Fahrerflucht zum Katalysator der Ereignisse. Alles dreht sich schließlich um Vergangenheit und Schuld, Erinnern und Vergessen. Wie Tykwer das inszeniert als Wechsel von langsamen, eleganten Kamerafahrten und wilder, den Taumel der Gefühle spiegelnder Handkamera-Direktheit, wie er jeder Figur eine Farbe zuordnet, die ihr Innerstes nach Außen kehrt, dafür gibt es im deutschen Kino keinen Vergleich. Erzählung und Erzähltes bilden eine perfekte Einheit, die etwas Hypnotisches hat; und jeder aus dem Ensemble versteht es, seiner Figur eine seltene Komplexität und Ambivalenz zu verleihen, die gerade in unseren heimischen Filmen selten geworden sind.
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