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Die Brüder Karamasow

Vier Brüder: der erste ein einsamer, verbitterter Spieler; der zweite ein religiöser Dogmatiker; ein philosophierender Bildungsbürger; ein totgeweihter Epileptiker. In der Mitte der Vater, ein Lebemann, von allen gleichermaßen verhaßt und geliebt. Dazwischen die eine oder andere Frau - und natürlich Geld, das Erbe der verstorbenen Mutter. Eine Konstellation für große Literatur und kein Wunder, daß Dostojewskis Meisterwerk zu den unbestreitbaren Klassikern zählt. Mit viel Feingefühl und dem nötigen tiefenpsychologischen Weitblick läßt er seine Figuren umeinander kreisen, entwickelt Verbindungen zwischen ihnen nur, um sie rechtzeitig wieder zu zerschlagen. Die Erlösung scheint für alle stets so nah, doch unerreichbar: Als erstes wird die Liebe als mögliche Errettung aufgegeben, denn sie macht schwach, abhängig, ist der Untergang des freien Willens. Was bleibt ist der Stolz, der für das Leben in der Wirklichkeit keine Bedeutung besitzt. Gier macht unglücklich, und Gott existiert nicht. Schon bald wird klar, daß "Karamasow" weit über das Spektrum einer traditionellen Familientragödie hinausgeht, sondern vielmehr die Frage nach einer metaphysischen Sinnerfüllung stellt. Leider ist dieser religiöse Deutungscharakter in der Verfilmung weitestgehend verloren gegangen und wird allenfalls an der Oberfläche berührt. Richard Brooks' Konzentration liegt auf der Beziehung des Zynikers Dimitri Karamasow und seinem Vater, eine Haß-Liebe, die dadurch ihren Höhepunkt erreicht, daß sich beide in dieselbe Frau verlieben. Der Sündenfall tritt ein, Vatermord, der Versuch eines Neuanfanges scheitert, die Moral versagt, und Gerechtigkeit ist eine Illusion. Aus den Trümmern der gescheiterten Ideale von Loyalität, Freundschaft und Liebe steigt zu guter Letzt ausgerechnet dem Atheisten unter den Brüdern die Erkenntnis empor: Wir alle sind Werkzeuge des Teufels. Doch wenn dies wahr ist, ist alles Lüge, und die Erlösung existiert, wenn auch nicht in dieser Welt. "Die Brüder Karamasow" entspringt einer Zeit, in der Hollywood die Entliterarisierung anzustreben schien - jeder Klassiker erhielt seine Verfilmung, die das Werk nicht nur reproduzierte, sondern es gar ersetzen zu wollen sich anmaßte und in den meisten Fällen an diesem Anspruch scheiterte. Brooks macht diesen Fehler nicht, indem er von Anfang an Prioritäten setzt, die den Film als Exzerpt behandeln und ihn nicht zur Alternative erheben. Seine Inszenierung ist solide, was insbesondere in der Kameraarbeit streckenweise zwar nur Routine bedeutet, dafür wird durch geschickte Farb- und Lichtkomposition der außerweltliche Bezug geschaffen, der dem Werk die manipulative Aura verleiht, die auch traditionelle Kirchengemälde zum Kultobjekt stilisierte - letztlich ein entscheidendes Merkmal des Classical Hollywood Style. Großes Hollywood-Kino ist der Film nämlich allemal, und wem es noch gelingt, Maria Schell als naiv-laszive Femme fatale mit zuckersüßem "Sissi"-Charme über die vollen 146 Minuten zu ertragen, wird den Film zwar sicher nicht als Ersatz, aber willkommene Ergänzung, beziehungsweise Appetitanreger auf das Original genießen können.
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